Gescheit scheitern. Geht. - Gedanken zum Backyard-TV-Film "Schöner scheitern"

Von Christiane Brandes-Visbeck

 

Die Macher von Backyard TV der Initiative Hamburg@work krönen ihre Film-Trilogie über Hamburger Kreative und Macher mit einem Beitrag zum "Schönen Scheitern". Als ich von der Themenwahl hörte, war ich begeistert. Wer wird dazu vor die Kamera treten? Werden die Protagonisten über ihr eigenes Scheitern berichten oder ganz allgemeingültige Statements formulieren? Denn in aller Öffentlichkeit etwas Persönliches zum Thema "Scheitern" zu erzählen, finde ich noch immer mutig.

 


 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

SCHEITERN. Seitdem ich gestern Abend diesen intelligent gedrehten und wunderbar geschnittenen Film von Sina Gritzuhn und authentic MEDIA GbR gesehen habe, geht mir diese Assoziationskette nicht mehr aus dem Kopf: Scheitern. Scheiterhaufen. Gescheit sein. Im Duden wird "gescheit" als "klug", "clever", "schlau", "intelligent" definiert und mit "ein gutes Urteilsvermögen erkennen lassend" umschrieben. Vielleicht zeigt dieses polarisierende Wortfeld auch das Problem, das wir Deutschsprechende mit dem Scheitern haben: Der Begriff spricht zu uns. Einerseits erinnert er an drastische, mittelalterliche Strafen. Andererseits an geistige Fähigkeiten, die für den Erfolg unabdingbar sind. 

 

Shit happens.

 

In den USA ist das anders. Dort gehört Scheitern zum Leben dazu. Shit happens. In meiner New Yorker Zeit bin ich morgens aus Brooklyn zu Burda Media im Rockefeller Center gefahren. Das Woolworth Building südlich der Lower East Side lag auf dem Weg. Für mich ist es eines der beeindruckendsten Gebäude der Stadt. Es heißt, dass Bauherr Franklin Winfield Woolworth (1852–1919) mit zwölf Gründungen gescheitert ist, bevor er mit seiner uns allen bekannten Billigkaufhauskette erfolgreich und zum Multimillionär wurde. Wenn die Legende stimmen sollte, verstehe ich, warum der Farmerssohn aus Upstate New York für seine neue Firmenzentrale im Big Apple das höchste Gebäude der Welt errichten ließ. Nach vielen Rückschlägen hatte er mit seiner Idee, Billigprodukte zu festen Preisen im Laden auszulegen, einen Strike platziert.

In dem New York, das ich kennengelernt habe, gilt Scheitern als eine unbedingte Voraussetzung für nachhaltigen Erfolg. Dazu gehören Mut zum Risiko, harte Arbeit und eben aus Fehlern zu lernen. Amerikanische Geschäftsleute erzählten gern von ihren 'downfalls' – und wie sie quasi als Phönix aus der Asche wieder auf die Beine gekommen sind. 'Shine and rise!': Im Umfeld des überwundenen Scheiterns strahlt der aktuelle Erfolg noch mehr. 

 

Scheitern – bisher ein No-Go.

 

'Versuch macht kluch', sagt auch der deutsche Volksmund. Doch in Wirtschaftsdeutschland ist Scheitern ein totales No-Go. Hier werden Fehler verachtet und bestraft. Ich kenne Unternehmen, in denen es zur Firmenphilosophie gehört, keine Fehler zu machen. Das ist für Mitarbeiter so anstrengend, dass manch einer heimlich auf Jobsuche ist. Im traditionell geprägten Deutschland sind wir erfolgreich, wenn wir Schuld verschieben, Misserfolge schönreden und unsere Lebensläufe frisieren. Alles war und ist selbstverständlich geplant: Den wegrationalisierten Job, um den uns unsere Studienfreunde beneidet haben, haben wir freiwillig aufgegeben. Das vom unzufriedenen Kunden aufgekündigte Projekt haben wir beendet, weil an anderer Stelle interessantere Aufgaben an uns herangetragen wurden, die besser in unser Portfolio passen. Die wirtschaftlich unabdingbare geschäftliche Neuausrichtung haben wir bewusst herbeigeführt, um unsere Kunden besser bedienen zu können. Schon klar. Doch, ganz ehrlich, manches ist eben auch mal schief gelaufen, war anders geplant. Wir haben uns geirrt, vertan, nicht genau hingesehen oder auch einfach verzockt. 'Aus Schaden wird man klug'. Auch das sagt der Volksmund. Ich füge hinzu: Nur dann, wenn man sich ihm stellt und aus ihm lernt.

 

Schön scheitern. 

 

Das tun wir jetzt. In Deutschland lernen wir gerade schön zu scheitern. Sicherlich ist das dem Start-up-Umfeld geschuldet, wo sich nicht jede Geschäftsidee trägt. Oder auch der sich radikal veränderten Welt, die uns in kaum einer Branche noch berufliche Sicherheiten bieten kann. Die Gesellschaft ist durchlässig geworden. Keiner weiß, wo er morgen steht. Da macht es schon Sinn, sich auch öffentlich zum Scheitern zu bekennen, das ja nicht mehr wie im Mittelalter endgültig ist, sondern eine Station auf dem Weg durchs Leben.

Eben davon erzählt dieser wunderbare Film "Schöner scheitern – Müssen wir das Scheitern noch lernen?". Es ist beeindruckend, mit welcher Souveränität Heiko Hubertz, Investor und Gründer von Bigpoint, Stéphanie Diederichsen, Modedesignerin und Gründerin von Trendelephant, Christoph Biallas, Geschäftsführer und Mitgründer von 8seeds.com und Steven Smith, Mitgründer von betandsleep, über ihre Erfahrungen mit dem Scheitern sprechen. Besonders einprägend finde ich die Interview-Sequenzen mit Stéphanie Diederichsen: "Scheitern gehört zum Lernprozess. Nur wenn man etwas ausprobiert und Fehler machen kann, kann man sich weiterentwickeln." Das deckt sich auch mit meinen Lebenserfahrungen. Gescheit scheitern. Geht.

 

Wer den Film anschauen und noch einiges über ihn lesen möchte, hier gehtʼs zum nextmediablog

 

Mehr davon.

 

Danke, Sina Gritzuhn, authentic MEDIA, beebop media und Initiative Hamburg@work für diesen anregenden Filmbeitrag zum Scheitern. Vielleicht macht Ihr ja weiter mit Backyard TV? Wäre doch schön!

 

 

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